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zur Ausstellung

NZZ: Aufsetzpunkt. Kunstzeughaus Rapperswil-Jona

Suzanne Kappeler

Neue Zürcher Zeitung, Artikel zu Ausstellung «Aufsetzpunkt»

Mit weit ausholender Folienmalerei löst Reto Boller die Grenzen von Boden und Wänden des Kunstzeughauses in Rapperswil-Jona auf. Im Parterre setzt das Kunstfestival Robinson zum Thema «Überleben» einen ironisch-abgründigen Kontrapunkt.

Seit zehn Jahren beschäftigt sich der 1966 geborene Zürcher Künstler Reto Boller mit Folienmalerei, das heisst mit hauchdünner, industriell hergestellter Klebefolie, die er auf Böden und Wände von Galerie- und Museumsräumen klebt. In der Kunsthalle Winterthur, im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen und in Galerien im In- und Ausland hat er in den letzten sechs Jahren Ausstellungen gezeigt. Seine Werke sind zum einen sehr präzis gearbeitet, zum andern aber offen für spezifische Wahrnehmungen und Emotionen.

Aufreizende Farbe 
21 Arbeiten hat Daniela Hardmeier, die Kuratorin des Kunstzeughauses, zusammen mit dem Künstler im Raum verteilt. Die raumfüllende Folienmalerei zieht sich über 79 Meter Länge über den Boden hin und schafft so eine Art Resonanzraum für die Sinnesorgane.
Seit zwei Jahren beschäftigt sich Reto Boller mit der leicht überzeichneten, als poppig empfundenen Farbe des aufreizenden, zwischen Rot und Pink changierenden Magenta. Durch die Mischung aus natürlichem Oberlicht und künstlicher Seitenbeleuchtung variiert der Gelbanteil des Lichts und lässt die Farben verwirrend changieren. Die sich über Boden und Wände ergiessende rote Fläche lässt auf grössere Distanz gar die weisse Stirn- und Kopfwand des Raumes hellblau aufleuchten, die Blauanteile in der roten Farbe scheinen sich zu verselbständigen.

Es ist die Mischung aus Zufall und Berechnung, aus Kälte und Wärme, aus Geraden und Unregelmässigkeiten, welche die Faszination dieser Arbeit ausmacht. Für den Künstler ist die Klebefolie eine Art Membran, die er anstelle des Malerpinsels verwendet. Er sieht sich als Maler, der mit der Rakel die Folie aufträgt und die Schnitte der einzelnen Bahnen verschwinden lässt. Raumelemente wie Säulen, Fenstereinschnitte und Stellwände werden in die Arbeit mit einbezogen und tauchen den ganzen Umraum in eine verwirrende oder meditative Farbigkeit. Über das Immaterielle von Farbe und Licht, das sich auf der Folie reflektiert, erhält das Werk eine metaphysische Tiefe.

«Aufsetzpunkt» betitelt Boller seine Ausstellung, die Arbeiten der letzten zwei Jahre vereint. Mit der gleichen Präzision, mit der ein Pilot sein Flugzeug aufsetzt, integriert der Künstler seine Werke in den jeweiligen Raum. Die einzelnen Arbeiten, die oft Fundobjekte, Abfälle industrieller Produktion oder Werkstoffe aus dem Baumarkt verwenden, tragen meist keine Titel, bleibt ihre Bedeutung doch offen. Aus ihrer ursprünglichen Alltagsfunktion als Tragriemen, Autopneus, Velohelm, Klemmzwingen oder ausgestanzten Alu-Teilen werden sie in einen abstrahierten, künstlerischen Kontext übergeführt.

Auch bei diesen Bildobjekten spielt die Klebefolie eine wichtige Rolle, etwa bei der titelgebenden Arbeit mit gebrauchten Pneus auf einem Metallgestell, die mit schwarzer Folie überklebt sind. Wie automatische Zeichnungen drücken die Gebrauchsspuren auf der glänzenden Folie durch. In einer Serie von sechs Lackarbeiten auf Papier, die ähnlich wie Fotogramme funktionieren, indem die Gegenstände auf das Papier gelegt und übersprayt werden, arbeitet der Künstler sehr subtil.

Robinsonaden

Die Organisation Bureau d’artiste präsentiert im Parterre des Kunstzeughauses eine jurierte Ausstellung von noch wenig bekannten, jungen Künstlern. Inspiriert von Peter Bosshards Sammlung von Robinson-Literatur, haben sie sich mit dem Thema «Überleben» auseinandergesetzt. Animationen, Dia- und Toninstallationen, aber auch Fotografien, Ölmalerei, Holz- und Metallarbeiten sowie zum Beispiel die detailreiche Tuschzeichnung von Julia Bruderer zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit spannen einen Bogen zwischen Kunstinsel und Überleben im Alltag. Von nachdenklich-ernsthaft bis verspielt-abgründig reichen die Überlebensstrategien der gut zwanzig Künstlerpositionen.