zur Ausstellung
Kunst im öffentlichen Raum: Hochschule der Medien, Stuttgart
Bärbel Küster
Text zum Werk «The Sounds of Earth»
Zeitkapseln sind auch Raumkapseln: in Bauprojekten werden Grundsteine eingelassen, wie zum Beispiel beim Berliner Palast der Republik, in dessen Fundament Erich Honecker, Staatspräsident der DDR, am 2. November 1973 einen metallenen Zylinder mit Bauplänen, dem Ablaufplan der Eröffnung und einer Urkunde für das „Haus des Volkes“ versenken ließ (und bis heute in der Betonwanne, die für das neue Humboldtforum Berlin weiterbenutzt wird, überdauert). 1977 –man befand sich auf der Höhe der astronautischen Phantasien nach der Eroberung des Mondes 1968– wurden an den NASA-Raumsonden Voyager I und Voyager II Botschaften ins All befestigt. Die interstellare Mission führte die Reise vorbei an Jupiter, Saturn und Neptun in neue Sonnensysteme außerhalb der Milchstraße – und sie fliegen immer noch. Auf sogenannten „Goldenen Schallplatten“ führen beide Sonden bis heute mit sich, was im Jahr 1977 von einem Kommitee der Cornell-University als repäsentative Geräusche der Erde ausgewählt wurde. Musik von unterschiedlichen Kulturen der Erde, Begrüßungen in den Sprachen der Welt, Geräusche, die von Regen, Wind und Brandung hervorgebracht werden, Tierstimmen, Baby-Laute u.a. Auf der Rückseite der Schallplatten war die grafische Anleitung, um mit einer Nadel diese Geräusche abzuspielen. Mit dem Abstand von fast 40 Jahren Weltenlauf erscheinen die Geräusche ebenso wie die in weiteren Medien ausgesandten Bilder heute kulturell aber zum Teil auch technisch antiquiert. Die Imagination einer ewigen Botschaft in eine utopische räumliche und zeitliche Ferne ist nicht gefeit gegen das Veralten – so wie das ausgesandte Licht eines Sterns noch auf die Erde dringt, sein Sender aber längst verloschen sein kann.
Die Kapseln an Bord der Voyager-Sonden traten 2012 – dem Jahr des Entwurfs von Reto Bollers und Guido Vorburgers Arbeit – in den interstellaren Raum ein. Die unvorstellbare Antwort auf die Frage, was wirklich von „Außerirdischen“ verstanden und ‚empfangen’ werden kann, wirft den Erdenmenschen zurück auf seine eigene irdische Scheibe:
Der Entwurf einer kreisrunden Sockelscheibe aus Beton von 8 Metern Durchmesser, in die mittig eine Messingscheibe mit der Aufschrift „The Sounds of Earth“ eingelassen ist, war von Anfang an für den Aussenbereich des Neubaus der Hochschule der Medien vorgesehen. Der Platz abseits des Bibliotheks-Neubaus auf dem Rasen erobert sich hier einen von der Architektur unabhängigen Ort. Das Objekt kann entdeckt werden oder von Ferne betrachtet. Seine Bezugslosigkeit eröffnet die Frage, wie die Scheibe „bespielt“ wird. Boller gibt keine Handlungsanweisungen, lediglich der auf 2/3 des Durchmessers eingelassene dunkel eingefärbte Ring des Betons sorgt für eine Strukturierung. Die bewußt armen Materialien vermeiden das „Kunsterlebnis“, evozieren einen Möglichkeitsraum, als Bühne oder Sitzplatz, als Ort des Verweilens oder Vorbeigehens auf dem Rasens oder auch der Ignoranz. Ein Landeplatz für nichts Bestimmtes, der die Medienreflexion ermöglicht, aber nicht aufdrängt.
Der mediale Umkehrschluß in der Skulptur, den man ausgehend von der „Sounds-of-Earth“-Botschaft ins Weltall ziehen kann, lautet: hier definiert eine Scheibe nicht den Ort, sondern stellt die Frage nach dem Ort überhaupt erst. Die Arbeit von Boller/Vorburger ist nicht „site-specific“, sie arbeitet nicht mit den Eigenheiten und kulturellen Aufladungen des Ortes, sondern gibt den Herantretenden die Möglichkeit der Entscheidung, was um Himmels willen, sie hier anfangen sollen. Der Ortsbezug wird von jedem einzelnen hergestellt, das Subjekt verhält sich gegenüber einem undefinierten und undefinierbaren Raum an diesem Ort durch seine eigenen Aktionen. Frei nach Robert Smithsons Definition eines „Non-site“, der den Ort mit dem Material aus dem Außenraum nunmehr im Innenraum einer Ausstellung zum „non-site“ macht, schafft Reto Boller ein „non-space“. Die Negation bezeichnet nicht einen negativ besetzten Ort, sondern dass der örtlich-räumliche Bezugsrahmen – die Schallplatten im All – abzuziehen, zu substrahieren ist, und dennoch anwesend bleibt.
Mit dem Neubau der Hochschule der Medien konnten zwei Hochschulstandorte an der Nobelstraße in Stuttgart Vaihingen fusioniert werden. Im Neubau finden die zweigeschossige Bibliothek sowie zahlreiche Seminarräume, Hörsäle, Büros, Rechnerpools und Aufnahmestudios Platz. Die bereits in der Ausschreibung geforderte „frei schwingende Form“ haben hotz+architekten, Freiburg, mit hängender Fassade und Skelettkonstruktion um vier Innenhöfe herum errichtet. Der Platz zwischen den zwei Baukörpern der Hochschule wird geprägt von einer gerundeten, rhythmisch gegliederten Außenhaut von unterschiedlich breiten geschoßhohen Fenstern und Aluminiumverblendungen. Verspringend wie unregelmäßige Klaviertasten dynamisiert die Fassade sich nach oben, denn das schmale Gesimsband verläuft nur im Untergeschoss waagerecht, im Obergeschoss dagegen bringt es leicht ansteigend den Baukörper in Bewegung. Die Ausschreibung für die Kunst am Bau hatte zunächst im Inneren des Gebäudes einen Standort vorgesehen – Reto Bollers Plastik ist jedoch nur im Außenraum denkbar. Die im Entwurf vorgesehene dichte Bepflanzung mit Lärchen hätte der Arbitrarität des Ortes in gebührendem Abstand von der Architektur einen stärker landschaftlichen Aspekt gegeben: Eine romantische Lesart von „Sounds of Earth“ würde den Geräuschen der Natur lauschen und die Sinne des Betrachters schärfen. In der realisierten Fassung bleibt davon vor allem die Wiese und damit auch mehr Freiraum.
Guido Vorburger und Reto Boller haben schon mehrfach für Kunst am Bau-Projekte zusammengearbeitet. Boller ist die Unabhängigkeit von der Architektur ebenso wichtig wie die Eigenständigkeit des materiellen Werkes auch gegenüber einem Thema. Nach Realisierungen im Winterthurer Kantonsspital 2001 und 2005, im Institut für Nanotechnologie in Karlsruhe 2008 folgte 2012
„Sounds of Earth“ – die erste Arbeit mit Beton. Boller beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit der plastischen Wirkung von Farbe im Raum, mit Lack- und Klebefolien, Silikonen, Aluminium und anderen industriellen Materialien. Sie werden als Objekte im Raum konkretisiert, bekannte Dinge mit fremden Material-Konfrontationen umdefiniert, Torsi von Industrieteilen zusammengesetzt, mit Lacken und neuen Oberflächen uminterpretiert. Der „Aufsetzpunkt“ –so der Titel einer Reto Boller-Ausstellung von 2011– für den Betrachter zielt auf die Unschärfe: auf den Landebahnen der Flughäfen entsteht ein dunkle Fläche dort, wo die meisten Flugzeuge mit dem Fahrwerk aufsetzen. Es ist kein theoretisch gesetzter ‚Punkt’, sondern eine der Praxis geschuldete, flächige Manifestation des Realen: Gummi auf Beton, Fliegen, Rollen und Stehen. Ebenso konkret vollziehen sich die Werke Bollers, nachdem er sie in die Welt gesetzt hat. Sie fordern einen Raum, verlangen dem Betrachter einen Prozess ab ohne einen Zielpunkt vorzugeben. Zugleich wahren sie, mit Donald Judd gesprochen, „Neutralität und Redundanz“, was für die Rezipienten ebenso provozierend zwischen Zugriff und Unterlassung oszilliert, wie für den Künstler selbst. Die gemeinsam mit Vorburger realsierten Projekte sind gekennzeichnet von interaktiven Möglichkeiten bei gleichzeitig reduzierten formalen Mitteln. Bei der Vaihinger Arbeit können die Fragen nach der Haltbarkeit der Medien und dem Überdauern des Materials angesichts des Verweises ins Universum und auf die Ewigkeit zwar gestellt werden (die römischen Bauten des opus caementitium überdauern seit 2000 Jahren, die Schallplatten im All sind schon nach 40 Jahren veraltet). Das Objekt hält allerdings keine eindeutigen Antworten parat. Als architektonischer Torso, Sockel und minimal art object gibt „Sounds of Earth“ vor allem einen konkreten öffentlichen Raum für eine jeweils sich ergebende Anzahl von Mitspielern zur Benutzung frei.
Günther Anders sprach beim Medienereignis der Mondlandung, die uns die Erde als „im Ozean des Raums schiffbrüchig herumschwimmende Boje“ (59) zeigte, von einem teleskopischen Gefälle in der Differenz „zwischen der Größe dessen, was wir herstellen können, und der Relevanz, die wir uns selbst und unserer Existenz im Weltganzen einräumen.“ – „Je höher unsere naturwissenschaftlichen und technischen Leistungen steigen, um so tiefer sinkt die Funktion, die wir uns selbst als Mitspielern im Universum zugestehen.“ (62) Der auf dem Mond gelandete Astronaut im Weltall werde mit den Bildern „ab-strakt“, im Sinne seines Abgerissenseins von der Erde. Die Übertragung der Bilder im damaligen Fernseher evozierte eine neue konkrete Konstellation: „Rechts steht dann der Plattenschrank, links die Getränke-Bar, und in der Mitte schwebt als drittes Möbel das Universum.“
Die Kapseln an Bord der Voyager-Sonden traten 2012 – dem Jahr des Entwurfs von Reto Bollers und Guido Vorburgers Arbeit – in den interstellaren Raum ein. Die unvorstellbare Antwort auf die Frage, was wirklich von „Außerirdischen“ verstanden und ‚empfangen’ werden kann, wirft den Erdenmenschen zurück auf seine eigene irdische Scheibe:
Der Entwurf einer kreisrunden Sockelscheibe aus Beton von 8 Metern Durchmesser, in die mittig eine Messingscheibe mit der Aufschrift „The Sounds of Earth“ eingelassen ist, war von Anfang an für den Aussenbereich des Neubaus der Hochschule der Medien vorgesehen. Der Platz abseits des Bibliotheks-Neubaus auf dem Rasen erobert sich hier einen von der Architektur unabhängigen Ort. Das Objekt kann entdeckt werden oder von Ferne betrachtet. Seine Bezugslosigkeit eröffnet die Frage, wie die Scheibe „bespielt“ wird. Boller gibt keine Handlungsanweisungen, lediglich der auf 2/3 des Durchmessers eingelassene dunkel eingefärbte Ring des Betons sorgt für eine Strukturierung. Die bewußt armen Materialien vermeiden das „Kunsterlebnis“, evozieren einen Möglichkeitsraum, als Bühne oder Sitzplatz, als Ort des Verweilens oder Vorbeigehens auf dem Rasens oder auch der Ignoranz. Ein Landeplatz für nichts Bestimmtes, der die Medienreflexion ermöglicht, aber nicht aufdrängt.
Der mediale Umkehrschluß in der Skulptur, den man ausgehend von der „Sounds-of-Earth“-Botschaft ins Weltall ziehen kann, lautet: hier definiert eine Scheibe nicht den Ort, sondern stellt die Frage nach dem Ort überhaupt erst. Die Arbeit von Boller/Vorburger ist nicht „site-specific“, sie arbeitet nicht mit den Eigenheiten und kulturellen Aufladungen des Ortes, sondern gibt den Herantretenden die Möglichkeit der Entscheidung, was um Himmels willen, sie hier anfangen sollen. Der Ortsbezug wird von jedem einzelnen hergestellt, das Subjekt verhält sich gegenüber einem undefinierten und undefinierbaren Raum an diesem Ort durch seine eigenen Aktionen. Frei nach Robert Smithsons Definition eines „Non-site“, der den Ort mit dem Material aus dem Außenraum nunmehr im Innenraum einer Ausstellung zum „non-site“ macht, schafft Reto Boller ein „non-space“. Die Negation bezeichnet nicht einen negativ besetzten Ort, sondern dass der örtlich-räumliche Bezugsrahmen – die Schallplatten im All – abzuziehen, zu substrahieren ist, und dennoch anwesend bleibt.
Mit dem Neubau der Hochschule der Medien konnten zwei Hochschulstandorte an der Nobelstraße in Stuttgart Vaihingen fusioniert werden. Im Neubau finden die zweigeschossige Bibliothek sowie zahlreiche Seminarräume, Hörsäle, Büros, Rechnerpools und Aufnahmestudios Platz. Die bereits in der Ausschreibung geforderte „frei schwingende Form“ haben hotz+architekten, Freiburg, mit hängender Fassade und Skelettkonstruktion um vier Innenhöfe herum errichtet. Der Platz zwischen den zwei Baukörpern der Hochschule wird geprägt von einer gerundeten, rhythmisch gegliederten Außenhaut von unterschiedlich breiten geschoßhohen Fenstern und Aluminiumverblendungen. Verspringend wie unregelmäßige Klaviertasten dynamisiert die Fassade sich nach oben, denn das schmale Gesimsband verläuft nur im Untergeschoss waagerecht, im Obergeschoss dagegen bringt es leicht ansteigend den Baukörper in Bewegung. Die Ausschreibung für die Kunst am Bau hatte zunächst im Inneren des Gebäudes einen Standort vorgesehen – Reto Bollers Plastik ist jedoch nur im Außenraum denkbar. Die im Entwurf vorgesehene dichte Bepflanzung mit Lärchen hätte der Arbitrarität des Ortes in gebührendem Abstand von der Architektur einen stärker landschaftlichen Aspekt gegeben: Eine romantische Lesart von „Sounds of Earth“ würde den Geräuschen der Natur lauschen und die Sinne des Betrachters schärfen. In der realisierten Fassung bleibt davon vor allem die Wiese und damit auch mehr Freiraum.
Guido Vorburger und Reto Boller haben schon mehrfach für Kunst am Bau-Projekte zusammengearbeitet. Boller ist die Unabhängigkeit von der Architektur ebenso wichtig wie die Eigenständigkeit des materiellen Werkes auch gegenüber einem Thema. Nach Realisierungen im Winterthurer Kantonsspital 2001 und 2005, im Institut für Nanotechnologie in Karlsruhe 2008 folgte 2012
„Sounds of Earth“ – die erste Arbeit mit Beton. Boller beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit der plastischen Wirkung von Farbe im Raum, mit Lack- und Klebefolien, Silikonen, Aluminium und anderen industriellen Materialien. Sie werden als Objekte im Raum konkretisiert, bekannte Dinge mit fremden Material-Konfrontationen umdefiniert, Torsi von Industrieteilen zusammengesetzt, mit Lacken und neuen Oberflächen uminterpretiert. Der „Aufsetzpunkt“ –so der Titel einer Reto Boller-Ausstellung von 2011– für den Betrachter zielt auf die Unschärfe: auf den Landebahnen der Flughäfen entsteht ein dunkle Fläche dort, wo die meisten Flugzeuge mit dem Fahrwerk aufsetzen. Es ist kein theoretisch gesetzter ‚Punkt’, sondern eine der Praxis geschuldete, flächige Manifestation des Realen: Gummi auf Beton, Fliegen, Rollen und Stehen. Ebenso konkret vollziehen sich die Werke Bollers, nachdem er sie in die Welt gesetzt hat. Sie fordern einen Raum, verlangen dem Betrachter einen Prozess ab ohne einen Zielpunkt vorzugeben. Zugleich wahren sie, mit Donald Judd gesprochen, „Neutralität und Redundanz“, was für die Rezipienten ebenso provozierend zwischen Zugriff und Unterlassung oszilliert, wie für den Künstler selbst. Die gemeinsam mit Vorburger realsierten Projekte sind gekennzeichnet von interaktiven Möglichkeiten bei gleichzeitig reduzierten formalen Mitteln. Bei der Vaihinger Arbeit können die Fragen nach der Haltbarkeit der Medien und dem Überdauern des Materials angesichts des Verweises ins Universum und auf die Ewigkeit zwar gestellt werden (die römischen Bauten des opus caementitium überdauern seit 2000 Jahren, die Schallplatten im All sind schon nach 40 Jahren veraltet). Das Objekt hält allerdings keine eindeutigen Antworten parat. Als architektonischer Torso, Sockel und minimal art object gibt „Sounds of Earth“ vor allem einen konkreten öffentlichen Raum für eine jeweils sich ergebende Anzahl von Mitspielern zur Benutzung frei.
Günther Anders sprach beim Medienereignis der Mondlandung, die uns die Erde als „im Ozean des Raums schiffbrüchig herumschwimmende Boje“ (59) zeigte, von einem teleskopischen Gefälle in der Differenz „zwischen der Größe dessen, was wir herstellen können, und der Relevanz, die wir uns selbst und unserer Existenz im Weltganzen einräumen.“ – „Je höher unsere naturwissenschaftlichen und technischen Leistungen steigen, um so tiefer sinkt die Funktion, die wir uns selbst als Mitspielern im Universum zugestehen.“ (62) Der auf dem Mond gelandete Astronaut im Weltall werde mit den Bildern „ab-strakt“, im Sinne seines Abgerissenseins von der Erde. Die Übertragung der Bilder im damaligen Fernseher evozierte eine neue konkrete Konstellation: „Rechts steht dann der Plattenschrank, links die Getränke-Bar, und in der Mitte schwebt als drittes Möbel das Universum.“