zur Ausstellung

Biennale Kulturort Weiertal

Seraina Peer

Katalogbeitrag zur Arbeit BLEIBE

Der Titel ist Programm. Mit BLEIBE lotet Reto Boller (*1966, Zürich) die mannigfaltigen Lesarten seiner ortsspezifischen Intervention aus.

Am Bach gelegen, unter Bäumen und zwischen Sträuchern – fast etwas versteckt – sind dicht beieinander Zelte aufgebaut. Sind sie eine Aufforderung zum Bleiben und Innehalten? Oder als Bleibe im Sinne einer Unterkunft zu lesen? Dienen die Zelte einer vorübergehenden Behausung oder werden sie zur Bleibe ohne absehbares Ende? Irritation, Unsicherheit, vielleicht sogar ein Unwohlsein machen sich breit, während gleichzeitig eine Neugier kitzelt.

Während die Zelte sowohl ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit evozieren können, erinnern sie im gegenwärtigen Weltgeschehen vielleicht auch an Flüchtlingscamps. Diese mögen weit weg von der Idylle des Parks liegen und sind dennoch allgegenwärtige Mahnmale unserer Zeit. Tatsächlich aber scheint Reto Bollers BLEIBE verlassen. Spuren einer Bewohnung sind nicht auszumachen. Es gibt weder Fussabdrücke oder eine Kochstelle, noch ist Wäsche aufgehängt. Nichts deutet darauf hin, dass die Zelte bewohnt sein könnten.
Reto Bollers Zelte stellen sich als Metapher heraus. Sie können auf den zweiten Blick eine ganz andere Geschichte erzählen als zuerst angenommen. In seiner Kunst fordert der Künstler mit der Verwendung von Alltagsgegenständen unmittelbar dazu auf, das Wissen über ein an sich bekanntes Objekt – wie ein Zelt – zu überdenken und sich auf diese Wahrnehmungsverschiebung und die neu entstehenden Sichtweisen einzulassen. Es ist dieser Ansatz, der sein aktuelles Schaffen auszeichnet. Während Reto Boller mit Malerei Traditionen herausfordert, arbeitet er zurzeit vermehrt in installativen Interventionen, um auf Orte zu reagieren und sie räumlich erfahrbar zu machen. Für das Werk BLEIBE ist nicht nur die Veränderung der Wahrnehmung Teil der Idee, sondern auch die Einschreibung der Witterungsverhältnisse in ihre Ästhetik. Wind und Wetter hinterlassen bleibende Spuren im Werk.

Die multiplen Bedeutungsebenen und das Verharren der Objekte in einem ungeklärten Daseinszustand sind für den Künstler zentrale Bestandteile von BLEIBE und Momente, auf die er in seinem Œuvre gern zurückgreift. So dürfen auch leise Zweifel aufkommen, ob die Zelte als Beitrag der Ausstellung zu verstehen sind oder aus anderen Gründen an diesem Ort stehen. Dadurch ist man gefordert, auch die eigene Position zu reflektieren. Je nach Situation bewegt man sich in der Rolle als Kunstbetrachter*in; wären die Zelte nun aber tatsächlich bewohnt, könnte die Situation schnell ins Voyeuristische kippen. Explizit ausformulierte Antworten just nicht zu haben, machen den Reiz einer aktiven Betrachtung aus.