zur Ausstellung
ARTFORUM international
Felicity Lunn
Besprechung in der Ausgabe September 2005 zur Ausstellung in der Kunsthalle Winterthur
In einer Zeit, in der die Malerei immer mehr von anderen Medien herausgefordert, vielleicht auch durch sie gefiltert wird, bringt die Arbeit von Reto Boller Farbe und Form aus dem Bild und direkt in den Raum des Betrachters. Seine Vorgehensweise leistet einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung des Verhältnisses der Farbe zum Raum sowie der Wahrnehmung. Durch Arbeiten, die entweder kleinformatig im Atelier oder als Wandmalereien vor Ort entstehen schafft Boller monochrome, organische Formen, deren Farbtöne, in dem sie das Licht widerspiegeln, den gesamten Raum einnehmen. Obwohl die Räumlichkeit am Kern seiner Arbeit liegt, kommt häufig eine schlummernde aber nie greifbare Gegenständlichkeit zur Geltung: wir denken an Landschaften, architektonische Elemente, Flüssigkeiten, das Design der 70er Jahre, an die Struktur des menschlichen Körpers. Das Vorgehen lässt sich in der Arbeit von Reto Boller leicht erkennen aber das Material ist immer im Dienst der Idee. Ideen in der abstrakten Kunst sind nie einfach zu beschreiben: für Reto Boller muss die malerische Situation, die er intuitiv eingegangen ist, eine Richtigkeit oder innere Logik haben. Für ihn ist wichtig, dass dadurch Gefühle im Betrachter entstehen können und er als Künstler gewisse Neuigkeiten entdeckt, die einen Beitrag zur zeitgenössischen Malerei leisten.
Im ersten Raum sehen wir zwei Arbeiten, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben aber mit der Zeit in einem Wechselspiel kommen. Die orange Arbeit besteht aus einer hautdünnen Folienschicht, wodurch alle Unvollkommenheiten der Wand beziehungsweise des Bodens durchschlagen. Durch die angelehnte Wand kommt eine Raumveränderung: die Wand verbietet den Zugang durch die zweite Tür und sie bringt eine Dreidimensionalität in die sonst flache Wandmalerei. Gleichzeitig braucht die Wand die Folie um befestigt zu werden, d.h. sie verlassen sich materialistisch und technisch aufeinander. Die Plazierung im Raum ist natürlich im Zusammenhang mit dem Oberlicht gemacht worden und als von Reto Boller nicht erwartete Ergebnis ist der orange Streifen um die Decke wie eine Ergänzung der ursprünglichen trompe l’oeil Malerei erschienen.
Im Vergleich zur klaren, brillanten aber unmanipulierbaren Folie ist die mit vielen Schichten aufgetragene Acrylfarbe eher stumpf und in sich geschlossen. Hier ist die Oberfläche auch nicht homogen, betont durch die Silikonstrukturen die sich zu dieser Spannung in der Arbeit von Reto Boller zwischen dem Anziehenden und dem Abstossenden beitragen. Interessant ist, dass wenn man die Augen halb schliesst, kommen die zwei Töne sehr nah zu einander.
Diese Schnittstelle zwischen dem Schönen und dem Abstossenden kommt noch mehr in der weissen Arbeit zur Geltung. Obwohl die Komposition der Aluminiumplatten an verschiedene kunstgeschichtliche Vorgänger erinnern wie zum Beispiel Ben Nicholson, Picasso oder Josephson, ist der erste Eindruck durch eine gewisse kreative Irritation geprägt, dass die zwei unteren Formen nicht richtig zusammen kommen, dass die zwei Weiss anders sind und die Nahansicht die Verletzungen im Aluminium entblösst, die Perfektion der Distanz bricht. Als Bild ist die Arbeit total offen: als Übersicht und Ansicht zugleich hat es Bezüge zur Dingwelt, die aber eher Andeutungen als feste Referenzen zu verstehen sind.
Der weisse Relief und die Holzstrukturen teilen eine besondere Vorgehensweise. Obwohl viele Male im Atelier mit Versionen von beiden experimentiert wurde, sind sie intuitiv, schnell und relativ grob geschnitten, und die endgültigen Arbeiten sind schliesslich bei den ersten Auslegungen der Elemente geblieben. Wo die Stücke in der weissen Arbeit aus der Ferne in die Tiefe gehen oder zurückziehen, ist die Holzstruktur ein Feld in dem sich die Zellen oder wolkenartigen Formen (in der Vorstellung zumindest) bewegen können. Sie ist auch wie ein Magnetfeld tätig: die Elemente kommen wie choreographiert ins Schwingen.
Was bei der Aluminiumarbeit sehr wichtig ist, ist die Verhältnis zum ersten Raum. Die rote Folieschicht auf der hinteren Seite des Aluminiums schafft den Eindruck (durch die Widerspiegelung) einer Durchlässigkeit, als ob die orange Farbe durch die Wand abgefiltert wird. Diese kommt auch durch die geschlossene Tür zustande.
Die blaue Arbeit, aus Aluminium, Silikon und Leim gemacht, hat im Vergleich zu den anderen Arbeiten einen speckigen organischen Glanz. Die Charakterzüge werden aus dem Material herausgezogen. Berge vom Flugzeug oder ein Insel im Meer andeutend ist das Bild gleichzeitig eine durch die gedehnte kaugummiartige Form eine Arbeit über die Geschwindigkeit, die, wie alle die Arbeiten von Reto Boller durch die Wechselwirkung von Farbe, taktiler Form, Grösse und Verhältnis zu den anderen Arbeiten im Raum eine emotionelle und psychologische Bedeutung gewinnt, die unsere Wahrnehmung immer wieder provoziert und verändert.